Herr Imhof, welches sind in Ihren Augen die gegenwärtig vorherrschenden Trends in der Antriebstechnik?
Es wird vermehrt Intelligenz in den Antrieb gesteckt. Der netzbetriebene Antrieb wird seltener. Immer mehr werden zusätzliche Funktionen wie Sicherheitstechnik, Ansteuerung von komplexen Kinematiken, dezentrales Energiemanagement und so weiter sehr antriebsnah realisiert. Im Weiteren verspüren wir auch ein Umdenken in Bezug auf die Zustandsüberwachung der Antriebe, also bezüglich Condition Monitoring. Vermehrt möchte der Betreiber zu jeder Zeit den Zustand seines Antriebssystems kennen um gegebenenfalls vorzeitig und geplant reagieren zu können. Dies geht soweit, dass auch während einer Wartung nur die wirklich nötigen Komponenten Instand gesetzt werden.
Welche von diesen Trends sind neu und welche herrschen schon länger vor?
Der Trend zur Dezentralisierung besteht nun schon seit rund 20 Jahren. Damals wurden die ersten dezentralen Frequenzumrichter auf den Antrieben verbaut. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde zunehmend auch die «Intelligenz» dezentralisiert. Wir sehen immer weniger nur einen Hauptrechner, der alle Steuerungsfunktionen übernimmt. Immer öfter werden Teilaufgaben im lokalen Antriebsstrang gelöst. Neu sind wir auch mit dem dezentralen Energiemanagement konfrontiert. Mobile Fördereinrichtungen erfordern ein Umdenken in diesem Bereich.
Wenn Sie einen mittel- bis langfristigen Ausblick wagen: Wohin geht die Reise, welche Aspekte gewinnen am meisten an Bedeutung?
Die nächsten grossen Herausforderungen sehe ich in der Änderung der Gesellschaft. Dies meine ich nicht negativ - unsere Gesellschaft ändert sich fortlaufend. Nun gibt es aber einen Trend, der eine Mehrzahl der Unternehmen direkt betrifft. Ich meine den Trend der Individualisierung des Produktes bei gleichbleibendem Kostendruck. Eine Vielzahl von Produkten lassen sich heute auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Dies bedeutet für die Unternehmen, dass die Variantenvielfalt in der Produktion enorm zunimmt. Dies ist mit dem klassischen Ansatz der starren Produktionsstrecken nicht mehr zu realisieren. Eine weitere grosse Herausforderung ist die Umsetzung der Energiestrategie 2050 oder generell der sorgsame Umgang mit Energie. Auch hier erwarte ich Entwicklungen, welche weit über die reine Effizienzsteigerung bei Elektromotoren hinausgeht, so wie sie in der EN 50598 als Ecodesign beziehungsweise Wirkungsgradklassen für Motorsysteme beschrieben wird.
Worin sehen Sie in den kommenden Entwicklungen die grössten Chancen?
Die grössten Chancen für den Werkplatz Schweiz sehe ich in der enormen Innovationskraft. Wir sind es gewohnt, kurzfristig und schnell auf Marktänderungen reagieren zu können. Die Schweiz ist bekannt für eine gesunde KMU-Landschaft mit vielen kleinen und mittelgrossen Firmen, welche hochspezialisierte Anlagen weltweit verkaufen. Sicher hat die Aufhebung des Eurokurses durch die SNB viele Firmen enorm gefordert. Die meisten Unternehmen konnten aber auch diese Hürde meistern.
Welches sind aus heutiger Sicht die grössten Herausforderungen, denen sich Anbieter und Hersteller von E-Antrieben gegenübersehen?
Für Schweizer Unternehmen stellt sich die Herausforderung, dass sie bei zunehmend globalisierten Märkten ihren Service und Handel darauf einstellen müssen. Global agierende Kunden möchten ihr Engineering in der Schweiz belassen und die Produktion in Tieflohnländer verlagern.
Verändert die Digitalisierung etwas an dieser Ausgangslage?
Ich denke, dass die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber für neue Entwicklungen und Produkte sein wird. Der klassische elektromechanische Antrieb wird in Zukunft weniger gefragt sein. Ich erwarte eine wesentliche Änderung speziell im Bereich der Intralogistik. Wie ich vorhin schon erwähnt habe, werden viele Produktionsfirmen gezwungen sein, auf die starre Fördertechnik in wesentlichen Teilen ihrer Unternehmung zu verzichten – in diesem Bereich werden künftig mobile Fördereinrichtungen zum Einsatz kommen. Nur mit einer solchen Änderung können die verschiedensten Varianten eines Produkts kostengünstig produziert werden. Für uns als Anbieter heisst dies, dass wir uns den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Neben neuen Produkten werden wir zukünftig auch vermehrt Dienstleistungen anbieten müssen, um der Nachfrage gerecht zu werden.
Bringen die Antriebe der höheren Energieeffizienzklassen IE3 und IE4 das, was von ihnen erwartet wird?
Dazu kann ich keine pauschal gültige Aussage machen. Es gibt viele Fälle, in denen der Einsatz eines energieeffizienten Motors durchaus Sinn macht und sich auch rechnet. Ich denke hier vor allem an Dauerläufer mit einer konstanten Last und nahe dem Nennmoment des Motors betrieben. Wird der Motor nur im Teillastbereich betrieben, so kann sich dies aber auch negativ auswirken. Zum Erreichen hoher Wirkungsgrade muss mehr aktive Masse – beispielsweise Kupfer – im Motor verbaut werden, was diesen dann natürlich schwerer macht und auch das Motormassenträgheitsmoment negativ beeinflusst. Bei taktenden Antrieben stellt sich gerade die erhöhte Massenträgheit des Rotors als negativ heraus, da diese bei jedem Anlauf hochbeschleunigt werden muss – dies führt zu einem höheren Energieverbrauch eines IE3 oder IE4-Motors gegenüber einem IE1-Motor.
Ist bei IE4 realistischerweise in der Praxis Schluss und IE5 ein Papiertiger oder ist IE5 in der Praxis ein Thema?
IE 5 steht zwar zur Diskussion – ich glaube aber nicht, dass wir in den kommenden Jahren auch tatsächlich Asynchronmotoren auf dem Markt sehen werden, welche diese Hürde meistern werden.
Ist genereller Leichtbau bei E-Antrieben ein Thema?
Im Bereich der E-Antriebe ist Leichtbau eher ein untergeordnetes Thema – diese Herausforderung liegt vornehmlich bei den Maschinen- und Anlagenherstellern.
Das Interview wurde geführt von Markus Schmid, Redaktor Technische Rundschau